Zerstückelung natürlicher Lebensräume durch Straßen, sich ausweitende Siedlungsstrukturen, Monokulturen in der Landwirtschaft: Laut Roter Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) sind aktuell ein Viertel der Säugetierarten, jede achte Vogelart, sowie 40 Prozent der Amphibienarten vom Aussterben bedroht. Das Aussterben von Arten ist zwar grundsätzlich ein natürlicher Prozess, doch durch den Einfluss des Menschen ist er heute beträchtlich beschleunigt.
Diese Entwicklung erscheint vielen unaufhaltsam, doch zwei Wissenschaftler mit Herz für die Natur und Blick für den Ernst der Lage setzen dem rasanten Schwund etwas Wirksames entgegen. Der renommierte Naturfilmer, Autor und Professor für Zoologie Heinz Sielmann und Deutschlands führender Vogelkundler Professor Peter Berthold haben sich zusammengetan und das Biotopnetzwerk gegründet („Sielmanns Biotopverbünde in der Bodenseeregion“).
Damit Tiere und Pflanzen sich vermehren und verbreiten können, brauchen sie Lebensräume, so genannte Biotope, und je größer und zusammenhängender diese sind, desto besser. Weil großflächig zusammenhängende Lebensräume bei uns aber immer seltener werden, liegt hier auch die (Not)Lösung der befreundeten Wissenschaftler: Sie legen ein Biotopnetzwerk an. Da Sielmann 22 Jahre älter ist, bereits eine wirtschaftlich sehr erfolgreiche Karriere hinter sich und eine Stiftung gegründet hat, haben sie das Mammutprojekt Biotopnetzwerk unter dem Dach der Heinz Sielmann-Stiftung angesiedelt.
Der Plan, der dahinter steckt ist ebenso genial wie einfach. Unter der Führung der Stiftung entsteht nach und nach ein Flickenteppich aus kleineren Biotopen, der sich über ganz Deutschland zieht. Über dessen „ökologische Trittsteine“ sollen möglichst vielen Arten wieder wandern und sich ausbreiten können. Da Feuchtbiotope die größte Artenvielfalt beheimaten, wird wenn immer möglich, ein weiteres Feuchtbiotop angelegt. Der ältere Heinz Sielmann ist vor einigen Jahren gestorben (2006), Peter Berthold aber, der auch schon älter und als Professor mittlerweile emeritiert ist, macht ehrenamtlich und unermüdlich weiter und setzt tatkräftig ein Biotop nach dem anderen um. („Peter Berthold und seine 100 Biotope“)
Die wirklich gute Nachricht bei der ganzen Sache ist: Was in der Theorie gut klingt, funktioniert tatsächlich auch in der Praxis ganz hervorragend. Die Biotopentwickung in Zahlen am Beispiel des Sielmann-Weihers, der zum Biotopverbund Bodensee gehört, der erste seiner Art war und am besten erforscht ist, wird es deutlich: Schon im ersten Jahr zeigten sich dort alleine 23 neue Vogelarten! In zehn Jahren stieg die Zahl der von 101 auf heute 179, das Erreichen der 200 wird bald erwartet. Außerdem wurden bis jetzt so viele Brutvogelpaare dazu gewonnen, wie durch das Artensterben zuvor verloren gegangen waren.
Aber es geht noch weiter. Zwei Drittel der 35 in Europa vorkommenden Libellenarten haben sich hier eingefunden, Schmetterlinge gibt es wieder in Hülle und Fülle, und auch die Entwicklung der Amphibien macht große Hoffnung: Wo vorher kein Frosch zu finden war, werden jetzt zur Laichzeit mehr als 5000 Erdkröten gezählt, dazu zahllose Frösche verschiedener Arten wie Wasserfrösche, Grasfrösche, Laubfrösche und einige mehr. Außerdem kommen mittlerweile wieder rund 350 Blütenpflanzenarten vor, ein wahres Paradies für Bestäuber wie Bienen, Hummeln und Wespen ist entstanden. (Naturtalk FÜNF VOR ZWÖLF! - Artenvielfalt durch Biotopverbünde | mit Prof. Dr. Berthold)
Was außerdem toll ist an diesem hoffnungsvollen Projekt: Praktisch jeder kann mitwirken und seinen Beitrag zur Rettung der Artenvielfalt leisten, entweder ganz praktisch oder mit Geld. Spenden sind der schnellste Weg, finanziell ganz unmittelbar die Projektarbeit zu unterstützen, und durch Zustiftungen lässt sich das Stiftungskapital auf Dauer erhöhen und die Arbeit mit dem Zinsertrag langfristig unterstützen. Aber jeder kann auch ganz praktisch selber ein Biotop initiieren oder sogar anlegen, entweder weil er Boden besitzt oder jemanden kennt, der Land besitzt und es für ein Biotop zur Verfügung stellen würde.
Wer Ideen und Ansätze hat sollte sich in jedem Fall mit der Heinz Sielmann-Stiftung in Verbindung setzen. Gemeinsam wird dann überlegt, was die nächsten Schritte sein können. Wer es ernst meint und sich vorbereiten will, findet hier einen sehr hilfreichen Leitfaden von Machern für Macher: „In 10 Schritten zum Biotop: Leitfaden als Download (PDF)
Autor: Andreas Monning