
Flüsse und ihre natürliche Umgebung sind in unseren Breitengraden die vielfältigsten Lebensräume. Sie beheimaten zahllose Arten von Pflanzen, Tieren, Insekten und Mikroorganismen – vergleichbar mit dem Amazonas-Regenwald in Südamerika.
Flusslandschaften sind allerdings auch ein drastisches Beispiel dafür, wie sehr der Mensch in die Natur eingreift und natürliche Lebensräume nach seinen Vorstellungen umgestaltet.

Unnatürliche Landschaften, rasantes Artensterben und verheerende Flutkatastrophen haben deutlich gezeigt: Es muss sich etwas ändern.
Das Umdenken hat Fahrt aufgenommen. Zwar wird längst nicht alles getan, aber erstaunlich viele Projekte setzen mittlerweile daran an, Flüsse wieder in einen naturnahen Zustand zu versetzen.
Wie beim Wiedervernässen von Mooren ist das eine große Herausforderung – doch es gibt Hoffnung. Zahlreiche Beispiele zeigen, was möglich ist, wenn Menschen, Behörden und Organisationen gemeinsam handeln.
Ein großes Problem: Die Flächen, die für eine umfassende Renaturierung gebraucht werden, befinden sich oft in Privatbesitz.
Hinzu kommen die gewachsenen Strukturen entlang der Flüsse: Dörfer und Städte, Gewerbegebiete, Industrieanlagen, Wasserkraftwerke und Verkehrsinfrastruktur wie Straßen und Brücken.
Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet die oft kritisierte EU den Stein ins Rollen brachte.
Der „Green Deal“ verpflichtet die Mitgliedsstaaten, ihre Flüsse in einen „guten“ Zustand zu bringen.
Grundlage dafür sind die Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie von 2000, die erstmals eine umfassende Bewertung des ökologischen Zustandes europäischer Flüsse ermöglichen.
Das Beziehungsgeflecht aller Komponenten eines Fließgewässers ist hochkomplex. Doch schon allein anhand der vorhandenen Arten lässt sich der Zustand ablesen.
Gewässerbiologen untersuchen dazu wirbellose Tiere, Wasserpflanzen, Algen und Fische.
Das Ergebnis ist ernüchternd: 2021 wurden lediglich acht Prozent der fast 9.000 deutschen Flüsse und Bäche (mit einer Gesamtlänge von über 130.000 Kilometern) als „gut“ oder „sehr gut“ eingestuft.
Ein kläglicher Befund – aber der Warnschuss aus Brüssel zeigte Wirkung. Fördermittel motivierten auch zögerliche Akteure, und die Zahl der Projekte wächst.
Gewässer- und Umweltverbände, Universitäten, Bund und Länder sowie Fischereiverbände arbeiten dabei Hand in Hand.
Werden auch die Anwohner einbezogen, profitieren alle Seiten, und die Begeisterung über gelungene Projekte ist groß.
Der erste Schritt ist die naturnahe Gestaltung der Gewässerläufe. Aus schnurgeraden Betonbetten dürfen Flüsse wieder „mäandrieren“, sich selbst gestalten und wandeln.
🎥 Video-Tipps:
Beispiel: Deutschlands erster vollständig renaturierter Fluss, die Mitternacher Ohe im Bayerischen Wald.
🎥 Renaturierung der Mitternacher Ohe (BR)
Renaturierungen zeigen: Auch die Anrainer profitieren.
Die Wissenschaft begleitet diese Prozesse intensiv: Hochschulen erforschen Alternativen und zeigen Landwirten praxisnah, wie diese funktionieren.
🎥 Ökologie und Hochwasserschutz – Renaturierung begradigter Flüsse (BR24)
Zu einem gesunden Fluss gehören auch seine Auen – die vom Hoch- und Niedrigwasser geprägten Niederungen neben dem Flussbett.
Die Wälder in diesen Niederungen, die Auenwälder, sind ebenfalls vom Hoch- und Niedrigwasser geprägt und weisen eine sehr artenreiche Flora und Fauna auf.
Es ist besonders wichtig, sie im Zuge der Renaturierung des Flusses ebenfalls wiederherzustellen, weil sie zu den biologisch produktivsten und vielfältigsten Ökosystemen unserer Erde gehören.
Etwa zwei Drittel aller Lebensgemeinschaften von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen Mitteleuropas kommen in Auen und ihren Wäldern vor – eine genetische Vielfalt, die der in tropischen Mangrovenwäldern nahekommt.
Ein starkes Argument für den Menschen, Auen zu erhalten oder zu renaturieren, ist der Hochwasserschutz.
Auen sind natürliche Rückhaltegebiete, die uns Menschen und unsere Bauwerke so effektiv wie keine künstlich angelegten Vorrichtungen vor Überflutungen schützen.
🎥 Video: Ökologie und Hochwasserschutz – Renaturierung begradigter Flüsse (BR24)
Autor: Andreas Monning