Wenn man zum ersten Mal das Wort „Agroforstwirtschaf“ hört, stellt man sich automatisch etwas Negatives vor. Hier muss von aggressiver Forstwirtschaft die Rede sein, von Monokulturen und Kahlschlag oder ähnlich unschönem. Tatsächlich ist Agroforstwirtschaf eine etwas unglückliche Bezeichnung für eine wunderbare Bewegung und einen erfreulichen Wandel in der Landwirtschaft. Es geht um die Versöhnung von Landwirtschaft und Forstwirtschaft, die lange getrennte Wege gegangen sind.
Künstlich getrennte Wege muss man sagen, denn im Grunde sind die zwei Disziplinen eng verwandt, möglicherweise sogar untrennbar. Bis vor wenigen Jahren, auf dem Höhepunkt der Trennung, rodeten Bauern jeden Baum, der zu nahe am Acker stand, um freie Bahn für die immer größeren landwirtschaftlichen Maschinen zu schaffen und den Ertrag zu maximieren. Für jeden gefällten Baum gab es eine staatliche Förderung.
Die wenigen Landwirte, die die Bäume bewusst stehen ließen, wurden belächelt oder sogar als Spinner bezeichnet. Dabei waren sie alles andere als verrückt. Sie setzten vielmehr altes Wissen um, nach dem Bäume in Ackernähe zahlreiche Vorteile haben. Erst jetzt, wo die Sommer immer heißer und trockener werden und der Landwirtschaft mit einem Wechsel aus Dürren und Starkregen zu schaffen machen und Ernteausfälle zunehmen, setzt auf breiter Front ein Umdenken ein. Wir erleben die Rückbesinnung auf das eigentlich immer Gewusste: dass die eine Disziplin die andere nicht nur unterstützen kann, sondern dass sie ohne einander gar nicht auskommen. Zumindest die Landwirtschaft nicht ohne Bäume.
Zu der Einsicht ist mittlerweile auch die Politik gekommen und fördert den Wandel. Landwirtschaftsminister Özdemir hat 2023 bei der EU stolze 200.000 Hektar Anbaufläche zur Förderung eingereicht, die nach den Prinzipien der Agroforstwirtschaft gestaltet werden sollen. Die Förderung ist bemerkenswert gut durchdacht, denn sie passiert nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern ist Projektbezogen. Für ernsthaft veränderungswillige Bauern ist das eine starke Motivation.
Für die radikale Kehrtwende in der Landwirtschaft, Ackerflächen wieder mit Bäumen zu kombinieren, gibt es viele und gute Gründe. An erster Stelle ganz einfach den, dass Laubbäume mit ihren herabfallenden Blättern jedes Jahr ganz automatisch und völlig kostenlos für hochwertigen Dünger sorgen. Denn Blätter bestehen aus Kohlenstoff und produzieren beim Verrotten Humus, den Feldfrüchten dringend zum Wachsen und Gedeihen benötigen. Humus produzieren übrigens auch Mengen an feinen Wurzeln, die ein Baum jedes Jahr abwirft. Auch sie verrotten und düngen den Boden, und wenn der Baum sie ersetzt und neu bildet, bindet er CO2 aus der Luft, welches die Pflanzen dringend brauchen.
Dann spenden Bäume mit ihrem Blätterdach ganz schlicht Schatten. In dem bleibt es deutlich kühler und der Boden feuchter, beziehungsweise er trocknet nicht so schnell aus wie bei Äckern ohne Bäume und ohne Schatten. Und auch beim Thema Erosion steht die klassische Mischform deutlich besser da. Bei kräftigem Wind oder Starkregen etwa wird der Boden von Äckern die gut durchwurzelt sind nicht so leicht weggeweht oder weggeschwemmt, selbst wenn er nach Wochen ohne Regen sehr hart und trocken ist.
Ob höhere Biodiversität der Anbaufläche, Schutz vor Schädlingen oder wirtschaftlicher Zusatznutzen: Über die zahlreichen Vorteile landwirtschaftliche Flächen mit Bäumen zu kombinieren ließe sich lange sprechen. Die Beispiele sollen aber genügen, denn noch viel spannender sind die verschiedenen Varianten von Agroforstwirtschaft, die derzeit bei uns und anderswo neu entstehen.
Schon das „Standardmodell“ ist einfach schön. Dabei wechseln sich Streifen von Ackerflächen mit Baumreihen und Blühstreifen ab. Die Abstände sind dabei so gewählt, dass der Bauer die Ackerstreifen problemlos mit der Erntemaschine befahren kann. Denkbar simpel, aber selbst diese Gestaltung bringt ein abwechslungsreiches Landschaftsbild zurück, das mit den großflächigen Monokulturen vielerorts verschwunden ist.
Aber es gibt noch viel interessantere Modelle, beispielsweise die so genannten Hutewälder. Das sind Weidewälder, die bei uns eine lange Tradition haben, zuletzt weitestgehend verschwunden
waren und mittlerweile an immer mehr Orten wieder eingeführt werden.
Beispielsweise wie in dieser Reportage: Hier zeigt der hessische Landwirt Fritz Schäfer, wie er Schweinehaltung im Wald funktioniert. (Der Bauer und die Waldschweine)
Oder in dieser Dokumentation, in der ein Geflügelhalter Bäume gepflanzt hat, damit seine Hühner unter und zwischen den Bäumen den Schutz finden, den sie von Natur aus suchen. („Schutz vor dem Habicht: Hühner in Pappel-Plantagen“. Unser Land, BR Fernsehen: https://www.youtube.com/watch?v=-6T_JjdXOo8).
Ein ganz besonders schönes Beispiel für Agroforstwirtschaft bekommen wir in diesem Beitrag zu sehen. Der Zuschauer darf hautnah erleben, wie ein Weidewald im Reiherbachtal wiederbelebt wird. In der Idylle dieser natürlichen Landschaft entsteht dabei ein Lebensraum für eine wild lebende Herde Auerochsen. („Die nordstory - Das Jahr der Auerochsen (HD)).
Und hier erklären uns Experten und Pioniere die effizienteste und wohl romantischste Form der Agroforstwirtschaft: den Waldgarten. (Auszug aus "Voices of Transition" - Thema Agroforstwirtschaft)
In dieser wirklich sehenswerten Dokumentation erleben wir eine Mischung verschiedener Formen: Darunter Agroforstwirtschaft und Weinanbau, wo die Weinberge von Schafen freigegrast werden; Streuobstwiesen, die es früher oft gab und die nach und nach wiederentdeckt werden; Noch einmal Hutewaldschweine, die sich sichtbar lustvoll in ihrem Schlammloch im Wald suhlen;
(BR, Dok Thema,: „Ackern unter Bäumen: Landwirte entdecken den Agroforst“).
Abschließend führt uns diese Reportage auf den hessischen Bauernhof Werragut, wo beim Generationswechsel neues Denken Einzug hält: Der Hofnachfolger Julius stellt nach seinem Studium mit Hilfe eines Freundes (Christoph), der Landwirte in Sachen Agroforstwirtschaft berät, die Wirtschaftsweise des elterlichen Betriebes um. Julius will den Versuch wagen eine Kombination aus klassischer Landwirtschaft und Gehölzen zu etablieren und das Ganze mit solidarischer und sozialer Landwirtschaft zu kombinieren. Da die öffentliche Förderung für solche Projekte zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit ist, entsteht erst mit Hilfe von Crowdfunding ein bis dato einzigartiges Leuchtturmprojekt. (HR: „Hessen erleben“ https://www.youtube.com/watch?v=H4uyJWg0GxI)