Moderne Retter: Rehkitze durch Drohne vor Mähmaschinen bewahrt

Autor: Andreas Monning am 17. Juli 2023 

Wenn der Frühling in den Sommer übergeht, bringen viele Rehe ihre Jungen zur Welt, (Setzen). Manchmal versteckt die Ricke ihr Kitz bei der Geburt unter Büschen mit tiefhängenden Ästen, meistens aber im hohen Gras. Da das Jungtier in den ersten Wochen noch keinen Körpergeruch ausströmt, den andere Tiere wittern könnten, ist es dort für Fressfeinde wie Rotfüchse praktisch unsichtbar.

Ein Rehkitz steht alleine am linken Rand eines Feldes
Foto von Erika Fletcher auf Unsplash

Bis das Neugeborene die Mutter im Alter von etwa drei bis vier Wochen begleiten kann, könnte es theoretisch also in aller Ruhe im hohen Gras liegen, warten, dass die Ricke zwischendurch kommt, um es zu säugen – und wachsen und gedeihen. Theoretisch. Praktisch kommt auf vielen hoch gewachsenen Wiesen früher oder später der Bauer zur Heuernte. Da die Kitze das für Rehe typische Fluchtverhalten ebenfalls erst im Alter von drei bis vier Wochen entwickeln, bleiben sie beim Herannahen der Mähmaschinen einfach geduckt liegen und pressen sich an den Boden. Und weil der Bauer die im hohe Gras gut versteckten Tiere meist nicht sieht, sterben hierzulande jedes Jahr zehntausende Kitze durch Mähmaschinen. Einige überleben die Begegnung mit der Maschine zwar, werden dabei aber so schwer verletzt und verstümmelt, dass der Jäger, zu dessen Revier die Wiese gehört, sie töten muss.

Weil niemand will, dass so etwas passiert, wurden Bauern und Jäger schon vor etlichen Jahren rechtlich verpflichtet, gemeinsam alles zu tun, um solche Unfälle zu vermeiden. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Mit Vogelscheuchen wird versucht Rehe von für die Mahd bestimmten Wiesen fern zu halten, doch an die harmlosen Strohkameraden gewöhnen sich die Tiere meist sehr schnell – und setzen ihre Jungen doch ins einladend hohe Gas. Eine etwas effektivere aber auch wesentlich aufwändigere Methode ist, vor der Mahd mit Klappern und Tröten über die Wiese zu gehen und Lärm zu schlagen. Damit kann man natürlich nicht die Kitze verscheuchen, weil sie wie gesagt noch keinen Fluchtreflex haben. Doch falls die Ricke bei ihrem Jungen war, läuft sie davon und gibt einen ungefähren Hinweis, wo ein Kitz liegen könnte. Dann müssen sich Bauer und Jäger auf die Suche machen. Das Ganze ist besonders auf großen Wiesen ein mühsames und zeitaufwändiges Unterfangen, das manchmal zum Erfolg führt - aber nur in wenigen Fällen. Und da niemand sagt, wie lange die Suche dauern muss, bevor gemäht werden darf und Zeit für Bauer und Jäger Geld ist, bleibt es bei zahllosen Unfällen und toten Rehkitzen, Jahr für Jahr.

Nun sind kleine Rehe aber unwahrscheinlich niedlich, und da sie uns Menschen nicht zuletzt durch die Filmfigur Bambi sehr vertraut und ans Herz gewachsen sind, löst Ihr Anblick unweigerlich Schutzinstinkte aus. Die Vorstellung, dass so ein wehrloses kleines Wesen von einer Maschine zerstückelt wird, wird unerträglich. Wer genau auf die Rettungs-Idee kam, die funktioniert, ist nicht bekannt. Vermutlich kam sie aus der Bestandsforschung, die für bestimmte Areale zu ermitteln versucht, wie viele Tiere einer bestimmten Art dort anzutreffen sind. Da es aufwändig und teuer ist, Menschen für längere Zeit zum Beobachten ins „Feld“ zu schicken, wird dort heute auf modernste Überwachungstechnik gesetzt. Kameras werden beispielsweise mit Sensoren ausgestattet, die Bewegungen von größeren Tieren, von Vögeln, Fledermäusen und sogar Insekten registrieren und die Kamera auslösen. Häufig ist auch künstliche Intelligenz mit im Einsatz, die die kleinsten Details eines Lebewesens erkennt und unterscheidet, vollautomatisch die Art bestimmt und geduldig Wochen- und Monatelang auf dem Beobachtungsposten bleibt und mitzählt.

Irgendwann muss jemand überlegt haben, wie man die Methoden und Techniken der Populationserfassung auf die Rettung von Kitzen übertragen könnte und ist auf folgende Konstruktion gekommen: Drohnen, die mit Wärmebildkameras ausgestattet sind und die Bilder life auf einen Monitor übertragen. Mit einer so ausgestatteten Drohne lässt sich eine Wiese gut überfliegen, und da warmblütige Tiere wie Rehe auf den Bildern der Wärmebildkamera als farbige Silhouetten zu sehen sind, kann man recht gut erkennen, wo in der Wiese eine Ricke unterwegs ist und wo ein Rehkitz liegt. (Das bayrische Fernsehen (BR) hat eine ehrenamtliche Drohnen-Pilotin zum Einsatz begleitet:

 

Rehkitze zu retten ist mittlerweile regelrecht in. In Gemeinschaft Gutes tun, emotionale Abenteuer in der Natur erleben, mit technischem Spielzeug hantieren: Rehkitzrettung vereint so viele attraktive Aspekte, dass eine bundesweite Retterszene entstanden ist. Die organisiert sich Dank Internet sehr effektiv über die Homepage Rehkitzretter und bringt Bauern, Jäger, Drohnen-Piloten und Helfer zusammen. Auf dem Portal können sich Bauern und Jäger registrieren, Wiesen eintragen, die für die Heuernte bestimmt sind und die Termine der Mahd bekannt geben. Und auf der anderen Seite können sich Leute eintragen, die als potentielle Helfer für Rettungsevents zur Verfügung stehen, die zum Beispiel auf Kommando des Drohnenpiloten auf die Wiese gehen und die Kitze suchen und bergen.

Teil eines Kitzrettungsteams zu sein bedeutet übriges auch früh aufzustehen, denn damit man Tiere aus der Luft auf den Bildern der Wärmekamera gut erkennen kann, müssen sich Umgebungstemperatur und Körpertemperatur deutlich genug unterscheiden. Das ist in den häufig schon recht warmen Monaten Mai und Juni allerdings nur in den frühen Morgenstunden garantiert. Außerdem müssen Helfer einige Spielregeln kennen und beachten wie etwa die, dass Kitze nur mit Handschuhen angefasst und in den Transportkarton gesetzt werden dürfen. Andernfalls würden die Tiere anschließend nach Mensch riechen und von der Mutter abgelehnt werden, was sie zum verhungern verdammen würde.

Ein Rehkitz liegt zusammengekauert zwischen hohem Graß
Foto von Vincent van Zalinge auf Unsplash

Durch die neue Suchmethode wurden bisher schon hunderte Kitze gerettet, aber nicht nur das: Ganz nebenbei haben auch etliche Junghasen von den Kitzrettungen profitiert, und sogar einige Gelege konnten in Sicherheit gebracht werden. Je mehr die neue Methode Schule macht, desto mehr Rettungen werden es. Und weil die Methode so erfolgreich ist und Medien-Wellen schlägt, hat sich auch das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMLE) hinter die „mit Abstand effektivste Methode zur Ortung und Rettung von Kitzen“ gestellt: Es fördert großzügig die Anschaffung von Drohnen mit Wärmekameras.

Nachwort: Wer beim Spazierengehen ein Kitz entdeckt, sollte sich über die seltene Begegnung freuen und sich klug verhalten. In keinem Fall ohne Handschuhe anfassen und schon gar nicht mitnehmen. Am besten aus der Ferne beobachten, ob nicht nach einer Weile das Muttertier auftaucht, das in der Regel nie weit weg ist. Falls das auch nach Stunden nicht passiert oder das Tier verletzt zu sein scheint, am besten das zuständige Forstamt, den Jäger oder die nächste Wildtierstation anrufen und um Hilfe bitten. (https://einfachtierisch.de/)

Quellen:

https://rehkitzretter.net

https://www.bmel.de/

https://einfachtierisch.de/

Kategorien: Erfolgsgeschichten Rubriken: Hilfe, Tiere

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