… eine gute Gelegenheit, um mit einigen Mythen aufzuräumen. Am 2. April findet zum sechsten Mal der Welt-Autismus-Tag statt. Er war 2008 von der UNO eingeführt worden. Alle Organisationen, die sich für Menschen mit Autismus einsetzen, nutzen an diesem Tag eine breite länderübergreifende Öffentlichkeit, um auf das Thema "Autismus" aufmerksam zu machen.
Um Vorurteilen keinen Raum zu geben und Missverständnisse auszuräumen, ist Aufklärung eines der größten Anliegen der Betroffenen, denn es gibt einige Mythen und Irrtümer rund um das Thema "Autismus", die sich mit der Zeit festigen konnten. Der Welt-Autismus-Tag ist eine gute Gelegenheit, um mit diesen aufzuräumen.
Autismus ist keine Krankheit, sondern eine besondere Art und Weise zu leben und seine Umwelt wahrzunehmen. Unter 1000 Menschen gibt es etwa vier bis sieben Betroffene im "Autismus-Spektrum". Die Gründe für das Entstehen von Autismus sind multikausaler Art: man geht heute von einer genetischen Disposition aus, die für sich allein aber noch keinen Autismus bedingt. Dazu kommen eventuell Vergiftungen durch Umwelteinflüsse, Entzündungen, Darmerkrankungen oder Impfungen. Die Wissenschaftler sind sich hier im Einzelnen nicht einig. Vieles spricht jedoch dafür, dass Informationen im Gehirn von Menschen mit Autismus aufgrund veränderter neurologischer Verknüpfungen anders verarbeitet werden. Keinesfalls ist Autismus, wie früher angenommen, psychisch bedingt und gar auf emotionale Vernachlässigung durch sogenannte "Kühlschrankmütter", Traumata oder Missbrauch zurückzuführen.
Autisten sind demnach nicht krank. Ihr "Anderssein" ist vor allem durch eine veränderte Wahrnehmung gekennzeichnet. Konkret bedeutet dies, dass Menschen mit Autismus unter Umständen anders sehen, riechen, schmecken, hören und fühlen. Manche Sinneseindrücke treten zu schwach, manche zu stark oder verzögert auf, manche vermischen sich synästhetisch. Oft kann eine Vielzahl gleichzeitig auftretender Eindrücke nicht gefiltert werden, was zu einem "Overload" führt (das Video veranschaulicht in etwa, wie sich das für einen Menschen mit Autismus anfühlen könnte).
Sensory Overload (Interacting with Autism Project) from Miguel Jiron on Vimeo.
Die Besonderheiten in der Wahrnehmung führen dazu, dass sich Menschen mit Autismus manchmal anders verhalten als wir das gewohnt sind. So kann es sein, dass sich ein Autist scheinbar abwendet, impulsiv oder unhöflich und ablehnend verhält. Entgegen gängiger Meinungen ist dies aber nicht auf eine aggressive Grundhaltung oder ein Desinteresse an sozialen Kontakten zurückzuführen, sondern darauf, dass zu viele Sinneseindrücke in der aktuellen Situation eine Überforderung darstellen und sich der Mensch mit Autismus dieser entzieht.
Ein weiterer Irrglaube ist, dass Menschen mit Autismus sich nicht in andere Menschen einfühlen können. Sie können sehr feinfühlig und mitfühlend sein, nur können Autisten die Gefühlslage ihrer Mitmenschen nicht automatisch an deren Mimik oder Gestik ablesen. Manche lernen daher mit Hilfe von Gesichter-Bildkarten auswendig, was ein trauriges, wütendes oder fröhliches Gesicht ist. Wenn sie dies erkennen können oder ihnen erklärt wird, wie die Situation beschaffen ist, können sie sich einfühlen wie andere Menschen auch.
Menschen mit Autismus sind nicht automatisch hochbegabt. Das Bild, das in den Medien durch Berichte über faszinierende Menschen mit Inselbegabung oder Filme wie "Rain Man" gezeichnet wird, vermittelt den Eindruck, dass alle Autisten irgendetwas ganz besonders gut können müssen. Es gibt diese sogenannten "Savants", aber das ist sehr selten. Hochbegabung und auch geistige Behinderung kommt bei Menschen mit Autismus genauso häufig vor wie beim Rest der Bevölkerung. Auch nicht-sprechende Autisten haben meist keine kognitiven Einschränkungen, sondern verständigen sich über Bildkarten, Gebärdensprache oder Schreiben auf Buchstabentafeln oder Computern.
Autisten leben nicht in einer anderen Welt und wollen auch nicht isoliert sein. Durch die veränderte Wahrnehmung und das damit ungewohnte Verhalten oder auch dadurch, dass Menschen mit Autismus Sprache wörtlich verstehen, entstehen oft Missverständnisse. Sprichwörter, Redewendungen und Floskeln können Autisten meist nicht auf den Kontext übertragen. Sie können diese aber verstehen, wenn man sie erklärt. Umgekehrt verwenden Menschen mit Autismus Sprache sehr klar und direkt, so dass es dazu führen kann, dass man sich selbst vor den Kopf gestoßen oder beleidigt fühlt, obwohl es nicht so gemeint ist.
Viele Autisten führen intakte Beziehungen und leben in liebevollen Partnerschaften. Manche sind mehr oder weniger auf Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen angewiesen. So kann es sein, dass es Menschen mit Autismus eventuell nicht möglich ist, sich ein Essen zuzubereiten, während das Begreifen komplexer und abstrakter Zusammenhänge kein Problem darstellt. Diese Diskrepanz zwischen kognitiven Fähigkeiten und dem Fehlen von Alltagsfertigkeiten zu überbrücken und gar zu überwinden, stellt eine große Herausforderung für die Betroffenen und deren Familien dar. Trotz dieser Schwierigkeiten können Menschen mit Autismus wie alle anderen Menschen auch ein glückliches Leben führen.
Wichtig ist, dass die beschriebenen Besonderheiten in der Wahrnehmung und die daraus resultierenden Verhaltensweisen auftreten können, aber nicht müssen. Das ist bei jedem Autisten anders, manchmal auch Tagesform. Jeder Autist ist anders, so wie jeder Mensch anders ist als der andere.
Die "gute Nachricht" ist, dass heute Welt-Autismus-Tag ist und viel zur Aufklärung beigetragen wird. In vielen Städten finden Filmvorführungen, Diskussionen, Informationsveranstaltungen und anderes statt, die der Tagespresse und Publikationen im Internet zum Thema zu entnehmen sind.
Diese Ausführungen stellen nur einen kurzen unvollständigen Abriss dar. Wer noch mehr erfahren und dies vielleicht auch Kindern zugänglich machen möchte, mag vielleicht den ausführlicheren Beitrag auf dem Kinder- und Jugendportal "Helles Köpfchen" nachlesen: helles-koepfchen.de.
Denn Kinder sind unsere Zukunft und für diese wünschen sich Menschen mit Autismus Respekt und Akzeptanz. Wo könnte man daher besser ansetzen als bei den Kleinsten unserer Gesellschaft?
Ich möchte zum Schluss den 16-jährigen Peter, einen nicht-sprechenden per Computer kommunizierenden jungen Mann mit Autismus, zitieren: "Mein Autismus ist oft nicht so federleicht, aber er ist Teil von meinem Sein. Ohne ihn bin ich nicht ich. Für meine Mama wünsche ich nicht nur deshalb viele Sonnenblumen."