Wie ausdrucksstark kann Poesie sein, wenn der Dichter bei seiner Lesung kein Wort spricht?
Wie funktioniert ein Poetry Slam mit gehörlosen Künstlern ohne Lautsprache?
Diese Fragen wurden für ein begeistertes Publikum spätestens bei den Vorentscheiden zu "BÄÄM! Der Deaf Slam" beantwortet. Das Interesse war weitaus größer als erwartet. So freuten sich die Organisatoren von "Aktion Mensch" und natürlich die Künstler über viele hörende und nichthörende Besucher.
Die Poeten haben jeweils fünf Minuten Zeit, um ihre Gedichte oder Geschichten vorzutragen – und zwar in einer Mischung aus Gebärdensprache und Pantomime.
Es geht dabei um Persönliches, Gesellschaftskritisches, Politisches, Nachdenkliches, Lustiges, Abstraktes, Familiäres, und und und – der thematischen Vielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Viele thematisieren auch die Gebärdensprache als solche und beziehen sich bei ihren Vorträgen auf deren Eigenheiten, geschichtliche Entwicklung oder gesellschaftliche Anerkennung. Die Reflexion der eigenen Sprache ist dabei eng verbunden mit persönlichen Erlebnissen und transportiert umso lebendiger die jeweiligen Botschaften der Künstler.
Unabhängig vom Thema steht die Gebärdensprache der Lautsprache in ihren Ausdrucksmöglichkeiten in nichts nach. Im Gegenteil: Interaktionen, Handlungen und Verhalten im Zusammenhang eines Textes werden noch wirksamer umgesetzt, da sie bereits Bestandteil der Sprache sind.
Die Gebärdensprache ist keine erfundene Zeichensprache, die mit der Lautsprache 1:1 übersetzt wird, sondern eine natürliche, eigenständige und vollwertige Sprache mit eigenem Charakter. Dieser ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass Gebärdende stärker als in vielen anderen Sprachen Fantasie, Emotionen, Humor und ihre Persönlichkeit in die Kommunikation und ihre Kunst einfließen lassen. Schnell zeigt sich dabei ein ganz eigener Sprachwitz und eine große Offenheit und Direktheit beim Benennen von Zuständen, Eigenschaften und Meinungen.
Bei der Gebärdensprachpoesie vermischt sich die offizielle Gebärdensprache mit Pantomime, so dass einzelne Gebärden ineinanderfließen, um zum Beispiel einen Spannungsbogen zu halten. Es werden Bilder ausgedrückt, indem der Künstler spielerisch variiert. Mit wiederkehrenden Handformen wird gereimt oder auch ein Rhythmus erzeugt. Manchmal werden auch ein klopfender, sichtbarer Fuß oder eine tiefe Basstrommel, die starke Schwingungen erzeugt, als Taktgeber eingesetzt. Mit ausgeprägter Mimik kann der Künstler vor allem ironisch oder satirisch sein und seinen Text insgesamt überzeichnen.
Außerdem werden Inhalte auf mehreren Ebenen zugleich transportiert: Mimik, Körperhaltung und Gebärden werden parallel eingesetzt, so dass auch – und vor allem – beim "Deaf Slam" ein komplexer Kunstakt entsteht, der unsere Kulturlandschaft bereichert.
Die Deutsche Gebärdensprache ist seit 2002 vollwertige Amtssprache. Viele Teilnehmer des "Deaf Slam" betonen, wie wichtig es ist, dass gerade durch solche Veranstaltungen die Gebärdensprache bekannter wird und sich Vorurteile und Berührungsängste abbauen. Der Wettbewerb von "Aktion Mensch" ist ein sehr guter und wichtiger Anfang in dieser Richtung.
Wer jetzt Lust auf ein "Deaf Slam" bekommen hat, mag vielleicht das Finale am Samstag, den 13. April, auf dem Hamburger Festplatz Nord besuchen. Dort treten die Sieger der Onlinewettbewerbe und der Live-Vorentscheide aus Heidelberg, München, Berlin und Dortmund an. Der Eintritt ist frei. Viel Spaß 🙂
Quellen: